Die unterirdische Sonne by Friedrich Ani

Die unterirdische Sonne by Friedrich Ani

Autor:Friedrich Ani
Die sprache: deu
Format: epub, azw3, mobi
Herausgeber: cbt Jugendbuecher
veröffentlicht: 2014-01-27T16:00:00+00:00


13

Er ließ Leon gewähren. Dabei hätte Noah vor Wut am liebsten zugeschlagen, mit dem Stock auf den Tisch, mit der Faust in Leons Gesicht. Noah sah ihm zu, wie er auf und ab schlurfte, ein Ausbund an Furcht, die er für Entschlossenheit hielt.

Nachdem er sich in der zurückgekehrten Stille von der Wand weggedreht und sofort begriffen hatte, in welchem Zustand Leon sich befand, glaubte er, einen Riss in seinem Herzen zu spüren.

Wie panisch klopfte Noah daraufhin mit der Faust auf seinen Brustkorb und beruhigte sich erst wieder, als er erkannte, dass Leon noch fähig war zu gehen und den Kopf zu bewegen wie jemand, der einer geheimen Musik lauschte. Dass da keine Musik in Leons Kopf war, stand für Noah fest, und er hasste die Stille im Raum, seit die beiden Männer die Tür wieder hinter sich verriegelt hatten.

Und seit Maren und Sophia weg waren.

Die Männer hatten die Mädchen am Morgen mitgenommen.

Ich schlag dich tot, sagte eine Stimme in Noah.

Leons Anblick katapultierte ihn gegen jede Faser seines Willens in das Verlies seiner Kindheit. Das war ein gewöhnlicher Keller, der von einem gewöhnlichen Zahnarzt abgeschlossen wurde.

Jedes Mal, wenn ihn ein Blick aus Leons Augen erwischte, fingen seine vertrockneten Tränen Feuer. Noah weinte schon lange nicht mehr. Im Alter von sechs Jahren hatte er in der Finsternis beschlossen, stärker zu sein als seine Tränen.

Außerdem sagte er sich, sein Vater habe seine Tränen nicht verdient, genau so wenig wie seine Mutter. Er wollte ihnen etwas beweisen, von dem er zuerst noch nicht genau wusste, was es war. Beim nächsten kalten, feuchten, lichtlosen Mal aber war ihm alles klar gewesen: Seine Tränen waren sein Eigentum. Sie gehörten ihm allein, wie seine Haare und sein Blut, niemand hatte das Recht, sie zu verurteilen oder zu bedauern, nicht einmal sie anzuschauen.

In derselben Dunkelheit lernte er, bei trockenen Augen zu schluchzen. Kurz darauf bewies er seine neue Fähigkeit am helllichten Tag in Gegenwart seiner Mutter. Wegen einer Bemerkung hatte sie ihm eine Ohrfeige gegeben – und er sah sie darauf hin nur an, schniefte und blinzelte, weiter nichts. Sie schien irritiert zu sein, denn sie legte den Kopf schief, was er unglaublich dämlich fand.

Seither lagerten seine Tränen wie vergammeltes Laub in einer Nische seiner Erinnerung. Und jetzt bildete er sich ein, sie zu riechen.

Etwas in ihm fing an zu brennen, wenn Leon mit schleppenden Schritten an ihm vorbeiging und ihn aus erloschenen Augen anschaute.

Noah hätte ihn beinah angespuckt, weil er es nicht schaffte, ihm ins Gesicht zu schlagen. Oder wenigstens einen Stuhl gegen den Fernseher zu schleudern, vor dem Conrad wie ein vereister Klotz hockte und sich tonlosen Schwachsinn reinzog.

Noah stand neben dem Tisch und verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere. Er presste den Stock an den Körper und verfolgte jeden von Leons Schritten. Er konnte nicht anders. Die Bewegungen des Jungen wirkten magnetisch auf ihn. Wie ein Film, in dem er selbst mitgespielt hatte. Auch er war auf und ab gelaufen, hin und her, von einer Wand zur andern, halbblind und wehrlos, angefüllt mit



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